
Im bis auf den letzten Platz gefüllten Hörsaal verfolgten Studierende der TUM sowie anderer Heilbronner Hochschulen den Vortrag des Industrieexperten mit großem Interesse. Kein Wunder, dass Siegfried Russwurm so viele interessierte Zuhörer hat: Der ehemalige Siemens-Vorstand weist eine bewegte Karriere mit Höhenflügen und Talfahrten auf und ist bestens vernetzt mit Politik und Top-Managern. Dabei fing sein Werdegang unspektakulär an. Er wuchs in einem kleinen oberfränkischen Dorf auf, wo der „Schuster bei seinen Leisten blieb“. Eine Karriere als Spitzenmanager? Undenkbar. Als Sohn von Fabrikarbeitern war es ungewöhnlich, eine höhere Bildung am Gymnasium anzustreben. Als einziger seiner Grundschulklasse erwarb Russwurm das Abitur, was er der Förderung seines Lehrers in der 4. Klasse zu verdanken hatte.
Erleuchtung beim Bergwandern
Ohne hochtrabende Karrierepläne absolviert der junge Franke ein Studium der Fertigungstechnik. Der Besuch einer Summer School stellt jedoch einen Wendepunkt dar. Dort lernt er einen Siemensvorstand kennen, der als Antwort auf kritische Fragen den Beweis von Qualifikation durch eine Promotion fordert. Bei einer gemeinsamen Bergwanderung kommt es zu einem persönlichen Gespräch mit einem der begleitenden Professoren. Der junge Russwurm ist interessiert und will wissen, „wie das denn mit einer Promotion funktioniert“. Der Entschluss steht nun fest: Siegfried Russwurm promoviert zielstrebig am Lehrstuhl für Technische Mechanik.
Karriere bei Siemens
Kurz darauf tritt er bei Siemens in der Medizintechnik als Produktionsplaner ein. „Mach die ersten Job-Interviews da, wo du nicht hinwillst. Quasi als Lernerfahrung“, rät Russwurm den Zuhörenden und schmunzelt. Diese Aussage unterstreicht seine Erfahrung, dass Widerstände überwunden werden können und Krisen eine Chance zur Veränderung bergen. „Karriere ist nicht planbar, du kannst nur Bausteine erwerben“, fügt er als Tipp an die jungen Studierenden hinzu.
Seine Erfahrungen aus der ehrenamtlichen Jugendarbeit und seine bodenständige Herkunft bringen ihm nun viele Vorteile: Russwurm vereint Glaubwürdigkeit und Führungsstärke.
Diese braucht er auch. Denn Mitte der Neunziger schlägt die Krise bei Siemens Medical zu. In dieser heißen Phase wird Russwurm zum Produktionschef berufen – und auch dank seiner Entscheidungskraft in kritischen Momenten ändert das Unternehmen seinen Kurs.
„Mir wurde gesagt: Jetzt haben Sie alles geschafft, was man in diesem Konzern als Produktionsexperte erreichen kann. Aber mir wurde angeboten, Verantwortung für ein Gesamtgeschäft zu übernehmen – mit Entwicklung, Vertrieb, Ergebnisverantwortung: das Geschäftsgebiet Electromedical Systems, Systeme für Patientenmonitoring, Beatmung und Anästhesie mit Standorten in Schweden und in den USA.“ Auch dort herrscht Krisenstimmung und wieder ist es Russwurm, der die strategische Sanierung vorantreibt. „Das zähle ich zu den Highlights meiner Karriere“, betont er.
Der „Restrukturierer“, wie man Russwurm firmenweit kennt, wird vor die nächste Herausforderung gestellt: „Siemens wurde von einem preußischen Offizier gegründet. Da werden die Offiziere von einer Schlacht in die nächste geschickt. Reste dieser DNA findet man immer noch. Dieses Mal trägt die Schlacht den Namen ‚Werkzeugmaschinensteuerung‘.“ Er wird Head of Motion Control Systems und trägt Verantwortung für Produkte und Lösungen rund um Antriebstechnik – und kann in einem prosperierenden Geschäft massiv in Innovation und insbesondere Digitalisierung investieren.
„Was passierte, nachdem Sie aus dieser Schlacht kamen?“ fragt Li. „Eine völlig verrückte Sache. Ich erfuhr von meiner eigenen Beförderung in einer E-Mail zu Organisationsveränderungen.“ Russwurm wird in das obere Führungsteam eines der wichtigsten Siemensbereiche berufen: Mit dem Schritt in den Siemens-Sektor Medical Solutions erlangt er Sichtbarkeit.
Der Aufstieg in den Siemensvorstand einige Jahre später eröffnet ihm neue Möglichkeiten. So ist er nun verantwortlich für Regionen wie Europa, Afrika, den Nahen Osten. Durch strategische Übernahmen und neue Geschäftsmodelle mausert sich Siemens zur Software-Company. Siegfried Russwurm treibt die Neuerungen mit voran: „Entweder die Wettbewerber nageln uns an die Wand oder wir reißen das Ruder herum und setzen uns an die Spitze des Trends zur digitalen Fabrik.“
Krisenfester Genussmensch
Seine Erfolge bereiten ihm den Weg in den Aufsichtsrat von Voith und Thyssenkrupp, wo er ab 2019 als Vorsitzender seine jahrzehntelange Industrieerfahrung einbringt. Und kurz darauf wird er als Präsident des BDI vorgeschlagen, was angesichts von COVID und dem Ukrainekrieg neue Herausforderungen mit sich bringt. In beiden Rollen wird er zum Brückenbauer zwischen Technik und Politik.
Trotz seiner vielen Aufgaben gibt es aber auch die private Seite Russwurms: So liebt er zum Beispiel in der Kantine Currywurst mit Pommes. „Und zum Nachtisch Schokopudding!“ Was er in seiner Freizeit lese, will Professor Li wissen. Der Gast muss nicht lange überlegen: „Philosophische Bücher.“
Und in der abschließenden Fragerunde antwortet Russwurm auf die berühmte Frage, was er seinem früheren Ich raten würde: „Ich würde stumm bleiben und gar keinen Rat geben. Sonst hätte ich Angst bekommen, vor dem, was da auf mich zukommt. Ich wäre ganz anders, viel zu zögerlich an die Dinge rangegangen.“
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